Mittwoch, 12. Juni 2019

Ausgewähltes Lesefutter Mai


Es gibt wieder kurze, knackige Buchbesprechungen über einige Bücher, die ich im vergangenen Monat gelesen habe, allerdings nicht über alle. Das ist mir leider zu viel Arbeit.

Hinweis: Da es einige der Bücher, die ich hier vorstelle, noch aktuell im Handel gibt, kann es sein, dass es sich bei diesem Beitrag um unbezahlte und unaufgeforderte Werbung handelt. Macht aus dieser Info, was ihr wollt.


















Kazuo Ishiguro: Never Let Me Go
Ich gebe zu: Ich habe gewisse Schwierigkeiten, mir japanische Namen zu merken. Der hier ist der mit The Remains of the Day (Was vom Tage übrigblieb), was ich allerdings nicht kenne. Ich hab nur mal den Film gesehen und fand ihn eher langweilig. Was ich aber kenne ist A Pale View of Hills (Damals in Nagasaki), ein Buch, das immer noch locker den Rang des unheimlichsten und bedrückendsten Romans hält, den ich je gelesen habe. 
Never Let Me Go (Alles was wir geben mussten) ist auch nicht gerade ein Garant für gute Laune. 
Die ungefähr 30jährige Kathy ist „Betreuerin“ von „Spendern“ und blickt auf ihr Leben in einem Internat zurück. Erinnerungen wie sie vermutlich so oder ähnlich jeder Internatsschüler haben wird, an Klassenkameraden, Lehrer, Freundschaften, kleine Intrigen und Liebeskummer. Allerdings heißen die Lehrer „Wärter“, die Kinder verlassen das Internatsgelände nie und scheinen auch keine Familien zu haben. Nach und nach wird einem mit zunehmendem Grausen klar, was auch die Schüler schrittweise erfahren: Sie sind geklonte Menschen und nur auf der Welt, damit ihnen als Erwachsene Organe entnommen werden können. Aus dem System gibt es kein Entkommen – wer „Betreuer“ wird, fängt nur ein paar Jahre später mit dem „Spenden“ an. Eine Zukunft, einen Beruf oder Kinder gibt es für keinen. Kathy und alle ihre früheren Mitschüler werden sterben, sobald ihr Körper die Organentnahmen nicht mehr verkraftet. Nachdem man das kapiert hat, wartet man natürlich auf die Rebellion oder den Versuch, zu entkommen – das passiert aber nicht. Niemand lehnt sich auf. Trotzdem liest sich das Ganze ziemlich fesselnd.
Im Grunde geht es wohl weniger um das Thema Klonen oder Organspenden, sondern darum, dass Menschen ihr Menschsein abgesprochen werden kann. Ein Buch, das einem lange im Gedächtnis bleibt, ob man will oder nicht.

Thomas Wolfe: Schau heimwärts, Engel
Eugen Gant wird um 1900 eine eher schwierige Familie im Süden der USA hineingeboren. Sein Vater ist ein unberechenbarer Alkoholiker, seine Mutter eine knauserige Krämerseele, seine Geschwister unheilbar unzufriedene Zerrversionen amerikanischer Stereotypen: das brave Hausmütterchen, das zu heimlicher Grausamkeit neigt, der gutaussehende Weiberheld und erfolgreiche Verkäufer, der leider etwas doof ist, der schweigsame, einsame Kämpfer, der für die Armee untauglich ist, die selbstbewusste Varieté-Sängerin, die sich als Krankenschwester für den undankbaren Vater aufopfert: Eine nie versiegende Quelle für Zwistigkeiten, Eifersucht und Streit, aber auch für einen Zusammenhalt, dem Eugen nicht entgehen kann, obwohl er es schließlich versucht. Wolfe blickt hier mit 29 Jahren auf seine Jugend zurück, was Vor- und Nachteile halt. Er ist halt doch noch sehr nah dran. Und er möchte unbedingt mal alles loswerden, einen Rundumschlag in epischer Breite machen. Episch ist in weiten Teilen auch die Sprache. Das Buch klingt streckenweise wie die Bibel und hat auch ungefähr den gleichen Umfang. Für mich persönlich war das einfach ein bisschen zu ausführlich und zu anstrengend. Irgendwann kann man all diese Leute mit ihrem ewigen Familiengehampel einfach kaum noch ertragen.
Im Vergleich zu James Joyces Ulysses (der Vergleich drängt sich einfach auf) schneidet dieses Buch meiner unmaßgeblichen Meinung nach aber um Längen besser ab. Hier wird wenigstens was erzählt. Und es ist auch nicht halb so eklig.
Was mich an dieser Ausgabe gestört hat sind die zahlreichen Druckfehler, die das Lesen wirklich nicht leichter machen.

Ule Hansen: Neuntöter
Ein Krimi aus Berlin, in dem es an Sex and Crime wahrlich nicht mangelt. Eine traumatisierte Polizistin ermittelt gegen eine Tätergruppe, die ihre Mordopfer lebend in Klebeband einwickelt und wie Kokons in einem Baugerüst aufhängt. Nebenher versucht sie damit zurechtzukommen, dass der Mann, der sie als junges Mädchen vergewaltigt hat, seine Haftstrafe abgesessen hat, erfolgreich seine Memoiren veröffentlicht und sich als geläuterten Straftäter und moralischen Vordenker der Gesellschaft feiern lässt.
Für meinen Geschmack gibt es einfach zu viele Leichen und zu viel Gewalt. Was schade ist, denn die Story hinter den Morden fand ich - wenn auch etwas reißerisch - noch gar nicht mal so schlecht, die Dialoge sind ausnahmsweise wirklich mal lebensnah statt hölzern, und ziemlich spannend ist es auch. Wen die ausufernde Grausamkeit nicht stört, kann sich mit dem Buch auf ein paar spannende Lesestunden freuen.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für die tollen Buchtipps - das zweite gefällt mir gut. Ich mag Familiengeschichten sehr gern - erinnert mich immer an die Buddenbrocks von Thomas Mann...

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