So, das Wetter wird ungemütlicher, ich habe gerade Urlaub und eine Menge gelesen. Also gibt es heute mal wieder meinen Lese-Rückblick.
Dieses Mal mit vielen älteren Büchern, weil ich meinen Lesestoff in erster Linie aus der 10-Cent-Grabbelkiste eines Freiburger Antiquariats bezogen habe.
Das ist billig, schränkt die Auswahl angenehm ein und hat was von Pilzesuchen. Entdeckerfreude inklusive.
- Knut Hamsun: Gedämpftes Saitenspiel
Um es vorweg zu sagen: Ich hatte vorher noch nie was von Hamsun gelesen. Das hängt damit zusammen, dass mir seine politische Einstellung zuwider ist. Jemand, der nach 1945 Hitler immer noch öffentlich bewundert hat, ist für mich schwer zu ertragen. Trotzdem soll man ja das Werk von Künstler trennen. Und außerdem war das Buch rein äußerlich so schön.
Dummerweise ist es das Mittelstück einer Trilogie. Man kann das problemlos auch einzeln lesen, aber irgendwie wäre es runder, wenn man die beiden anderen Bücher auch kennen würde. Die Geschichte ist eher trübe - die Ehe eines Grundbesitzers scheitert. Alles wird aus Sicht des Ich-Erzählers beschrieben, der sich zeitweise auf dem Hof als Knecht, zeitweise für den Liebhaber der Frau als Arbeiter verdingt. Das macht die Sache natürlich ungleich interessanter, als wenn die "besseren Leute" alles unter sich ausmachen. Die Sprache ist einfach, sehr klar und schnörkellos. Man muss aber aufpassen. Herr Hamsun hält sich nicht damit auf, wörtliche Rede mit Anführungszeichen kenntlich zu machen.
Sein Blick auf Menschen und Dinge scheint mir sehr genau und ziemlich kühl.
Befremdlich fand ich ein paar überraschende Ausfälle gegen - die Schweiz. Ein Zitat:
Und wir lernten von diesem kleinen Scheißvolk in den Alpen oben, das in seiner ganzen Geschichte niemals etwas bedeutet und niemals etwas hervorgebracht hat, - wir lernten darauf pfeifen, wie eine menschliche Wohnung für das Auge sich ausnehmen soll, wenn sie nur von zigeunernden Touristen gutbefunden wird.
Öh.
Gut, gelebte Demokratie war jetzt wohl nichts, was Herr Hamsun als Leistung angesehen hätte. Ob er sich da als Angehöriger eines anderen Bergvolks irgendwie von der Schweiz persönlich ausgestochen oder angegriffen fühlte? Sehr seltsam.
Davon abgesehen hat mir das Buch gefallen.
- Susanna Clarke: The Ladies of Grace Adieu
Das Buch hab ich zum zweiten oder dritten Mal gelesen. Es gefällt mir also wirklich gut. Die Frau kann erzählen, der fällt wirklich was ein, und sie hat Humor.
The Ladies of Grace Adieu ist eine Sammlung von Geschichten, die in der Welt spielen, die sich die Autorin für ihr Hauptwerk Jonathan Strange und Mr Norell ausgedacht hat - eine Art alternatives frühes 19. Jahrhundert. Ohne eine Spur von Steampunk. Eher Harry Potter für Große und in düster. In den Geschichten spielen Frauen eine größere Rolle als im Roman (und erweisen sich meistens als geschickter und skrupelloser im Umgang mit Elfen und Zauberei als die Männer), aber zum Glück ohne pseudofeministisch-verklärte weibliche Weisheit. Eher praktisch und pragmatisch.
- Christine Nöstlinger: Wir pfeifen auf den Gurkenkönig
Wie ich zu dem Buch gekommen bin, hab ich hier ausführlich erzählt. Seltsamerweise kann ich mich erinnern, als Kind Bücher von Frau Nöstlinger gelesen zu haben, aber gerade dieses, das scheinbar ein absoluter Klassiker der antiautoritären Kinderliteratur ist, sagte mir gar nichts. Ich war allerdings in den Achtzigern in der Schule... da war das Thema eher der saure Regen und der Atomkrieg. Mit einem Wort: Gudrun Pausewang. Christine Nöstlinger ist mir lieber.
Wir pfeifen auf den Gurkenkönig ist ein spannendes, lustiges Kinderbuch, in dem für die Schwierigkeiten, die eine Familie im Zusammenleben so haben kann, meiner Meinung nach sympathisch und ohne erhobenen Zeigefinger Lösungen vorgeschlagen werden. Das Antiautoritäre fand ich gar nicht so schrecklich vorherrschend (hihi, ein toller Satz, oder?).
Außerdem ist der egozentrische Gurkenkönig einfach eine hervorragende Figur.
- G. von Studnitz: Ein Jagdhaus in Schweden
Noch ein Grabbelkistenfund. Ich mag Bücher über die Jagd. Nicht wegen der Jagd selber - zum Vergnügen Tiere zu töten finde ich eher bedenklich - aber wegen der Naturbeschreibungen.
Interessant macht das Buch die Schilderung, wie sich eine Landschaft samt ihrer Fauna im Lauf weniger Jahrzehnte durch Straßenbau und Besiedlung verändert.
Herr Studnitz hat allerdings einen etwas verschrobenen Schreibstil. Dummerweise kann man kaum einen einzelnen Satz herausgreifen, weil sich jeder entweder direkt auf den vorherigen bezieht oder mindestens eine Seite alleine füllt. Trotzdem ein Beispiel:
Bevorzugt schien sich ferner gerade Auerwild, der gefundenen Losung nach zu schließen, um das kleine Weglein aufzuhalten, das sich nach der entgegengesetzten Seite als der Pfad zur Gäddvik unter hohen Nadelhölzern, die gelegentlich der Sonne Zutritt auf eine von ihnen freigelassene stille kleine Lichtung ließen, reichlich mühsam zwischen den Wachholdern durch hohe Heide- oder Blaubeersträucher quälte.
Bis der Satz fertig ist, hab ich seinen Anfang vergessen, muss aber trotzdem kurz nachdenken, ob sich jetzt das Auerwild quält oder das Weglein.
- Joachim Lehnhoff: Die Heimfahrt der U720
Ein Roman aus dem 2. Weltkrieg - mit ein bisschen U-Boot. Keine große Literatur, aber flüssig geschrieben und recht spannend. Eher ein Abenteuerroman.
Was etwas nervt: Es kommen drei Frauen vor, die einen gewissen Anteil am Geschehen haben. Eine dunkelhaarige, elegante Schönheit, eine gutaussehende, langbeinige, vollbusige Blondine und eine "bemerkenswert hübsche" Rothaarige.
*seufz*
- Jesús Ilundáin-Agurruza/Michael W. Austin (Hg): Die Philosophie des Radfahrens
Da ist ein Buch aus dem Jahre 2013 in die Grabbelkiste geraten. Ich vermute, dass das gar nicht vom Antiquariat ist, sondern einfach ausgesetzt wurde.
Das mit der Philosophie ist völlig ernstgemeint. Die hauen einem Theorien um die Ohren, von denen ich teilweise noch nie was gehört habe - wobei es hier und da auch in Richtung Sozialwissenschaft abdriftet.
Die Beiträge sind allerdings von unterschiedlicher Qualität. Den ersten fand ich richtig gut, dann waren noch ein paar interessant und einige - für mich zumindest - völlig langweilig. Profiradsport oder die Critical-Mass-Bewegung sind eben keine Themen, die mich vom Hocker reißen.
- Emmi Gruhner: Das Glück von Sielenhöh
Untertitel: Eine Jungmädelgeschichte. Das Erscheinungsjahr ist nicht angegeben.
Von außen sah das Buch auf den ersten Blick so aus, als wäre es aus den Fünfzigern.
Von innen ist es eine nette, etwas belanglose Story - allerdings sind die Mädchen alle blond, abgehärtet, unverwöhnt und heißen Traut, Grit, Luz und Nell. Nur keine unnötige Silbe!
Und wenn Brennholz geliefert wird, kommt es nicht einfach aus dem Wald, sondern aus dem deutschen Wald.
Davon absehen fand ich es ganz schön, mal wieder ein altes Mädchenbuch zu lesen. Ich bin (auch) mit Jugendbüchern aufgewachsen, die deutlich vor Enid Blyton datierten.
- Wilhelm Westecker (Hg.): Die Trommel schlug zum Streite
Das hab ich ja schon in den Sieben Sachen kurz kommentiert. Eine Sammlung von deutschen Gedichten über den Ersten Weltkrieg von 1938.
Grausig.
Da sind auch vereinzelt ein paar normale Gedichte drin, aber überwiegend trieft das Heldenblut von den Seiten. Vaterland, Ehre, Kampf und Sieg, die "Scholle" natürlich, und immer wieder Deutschland, Deutschland über alles.
Ich bin mir auch noch nicht ganz sicher, ob ich das wirklich auf Dauer in meinem Bücherregal stehen haben will. Mitgenommen hatte ich das Buch, weil es auf mich so lächerlich wirkte (es hat sogar eine Eichenlaub-Umrandung auf dem Schutzumschlag), aber als ich es dann gelesen habe, fand ich es nicht mehr so amüsant.
Montag, 30. September 2013
11 Kommentare:
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Wow, da hast du ja echt alte Schätze in Angriff genommen :-)
AntwortenLöschenLIebe Grüße
Angela
Den Gurkenkönig mag ich auch sehr! Kumiomi ist hier inzwischen ein beliebte Bezeichnung für alles kleine und garstige geworden. :)
AntwortenLöschenLG
kleinodia
Liebe Centi,
AntwortenLöschenich bin neu hier und finde deinen Blog echt schön. Dass du gerne in Antiquariaten stöberst hat bei mir eine gewisse Hoffnung geweckt: Da ich Grundschullehramt studiere und ein Faible für kreatives Schreiben habe, suche ich schon ziemlich lange >>Das Buch der Fragen<< von Pablo Neruda. Ist es dir zufällig schon einmal auf DEUTSCH begegnet? Ich wäre wirklich super glücklich, wenn ich es finden würde. Lieben Dank für deine Hilfe.
Nico
Grüß dich, herzlich Willkommen! =)
LöschenDein Buch hab ich bis jetzt noch nicht geshen, aber ich werd mal die Augen offenhalten.
Übrigens kannst du das auch gebraucht bei Amazon für um die 10 € bestellen... das ware ja auch noch ne Möglichkeit. :)
@Hamsun und 1945: Na ja, der war da 86 oder so und verkalkt.
AntwortenLöschenGerade hab ich mein Bücherregal in Berlin nach Hamsun durchsucht. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, was ich von dem gelesen habe. Im Bücherregal war aber nur ein RoRoRo Monografie über das Leben von Hamsun. Vermutlich hab ich den gar nicht gelesen, sondern nur die Biografie über Hamsun.
Stimmt, da war er alt. Wäre er jünger gewesen, hätte er sich vielleicht nicht öffentlich geäußert - aber gedacht hätte er das Gleiche. Will sagen: Der war schon komisch drauf, bevor er alt und klapprig wurde.
Löschen@Studnitz: Na ja, der ist lateinverbildet. Wenn man 9 Jahre Latein übersetzt hast, ist man so ellenlange Sätze gewöhnt und muss erst wieder vernünftig schreiben lernen *hihi*.
AntwortenLöschenAber der sich quälende Weg wäre mir zu viel *giggel*. Ich hab eh keinen Nerv mehr für Belletristik.
Ahhh... der hat Latein übersetzt? Das erklärt natürlich Einiges!
LöschenAuch solche Wörter wie "Begebnis" zum Beispiel. ;-)
Früher hatte man typischerweise 9 Jahre Latein im Gymnasium, wodurch man unweigerlich zum Konstrukteur halbseitiger Schachtelsätze wurde, denn die Literatur der Römer besteht überwiegend aus solchen Konstrukten. Ich spreche da aus Erfahrung (9 Jahre freiwillig Latein am Gymmie), denn viele Leute haben sich über meine langen Schachtelsätze beschwert. Hab mich aber gebessert :-).
LöschenIch hatte immerhin 7 Jahre Latein und kenne das Phänomen. =)
LöschenAhh :D!
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