Mittwoch, 1. Januar 2014

Lesefutter Dezember

Bevor ich's vergesse: Euch allen ein gutes Neues Jahr! 

Neujahr ist ein guter Tag zum Aufräumen und Ersetzen. Die alte Kalender abnehmen, die neue Fahrkarte einstecken, die Leseliste vom letzten Jahr löschen...

Meine Bücher im Dezember stammen bis auf das letzte wieder alle aus der 10-Cent-Grabbelkiste.


















Robert Harris: Vaterland

Die Handlung ist eigentlich nicht weiter der Rede wert – Ein Typ mit Problemen ist einer großen Sache auf der Spur, trifft dabei auf eine hübsche, jüngere Frau, die beiden verlieben sich, stellen fest, dass die Sache viel größer ist als zunächst angenommen und geraten in Gefahr. Thrillertypisch eben.

Das Interessante ist das Setting. Harris lässt sein Buch in einem fiktiven Deutschland in den 60ern spielen, wobei er davon ausgeht, dass Deutschland den Krieg gewonnen hat und die Nazis Europa beherrschen. Berlin ist zum monströsen Germania umgebaut worden, das Regime hat sich etabliert und die Bevölkerung hat sich arrangiert. Es gibt praktisch keinen Widerstand, und die US-Regierung schickt sich gerade an, die diplomatischen Beziehungen zum deutschen Reich auf eine freundschaftliche Ebene zu bringen. Das ist eine sehr bösartige Dystopie, und sie ist überwiegend auch ganz überzeugend gelungen. 
Ein Buch, das spannend ist und gleichzeitig nachdenklich macht.




 













Werner Bergengruen: Die Sultansrose

Bergengruen ist ein typischer Nachkriegsschriftsteller – er schreibt routiniert nette Geschichten, die ohne Politik auskommen. Das kam damals verständlicherweise gut an und geriet irgendwann wieder aus der Mode. Die Sultansrose ist eine kleine Sammlung von Geschichten, die zumindest teilweise gar nicht so betulich und lustig sind, sondern ziemlich ernst und ziemlich blutig. Es ist sozusagen von allem was dabei, und das macht die Geschichten sehr abwechslungsreich. Das bleibt in meinem Bücherregal. Ein kleines Schmankerl daraus muss ich zitieren, weil ich es einfach so toll finde. Der König von Frankreich beendet die Beziehung zu seiner Maitresse mit folgenden Worten:
"Von nun an versagen Wir Uns Ihren Anblick. Mit der Wartung des königlichen Liliengartens werden Wir eine andere Gärtnerin betrauen."
Großes Kino!



 














Emile Zola: Nana

Im Fernsehen hatten wir uns La Traviata angeschaut, das ist die Oper, die Verdi aus Dumas’ Roman Die Kameliendame gemacht hat. Die Hauptperson ist eine Pariser Kurtisane. 
Tags darauf hab ich angefangen, die Buch zu lesen, und siehe da: Die Hauptperson ist eine Pariser Kurtisane (eine Kurtisane ist eine Frau, die sich von einem oder mehreren Liebhabern aushalten lässt, also im Prinzip eine Prostituierte, aber auf hohem Niveau).
Am Anfang ist das Buch leider schrecklich langatmig. Es treten unzählige Personen auf, bei denen man das Gefühl hat, dass man sich irgendwie merken sollte, aber es ist wie bei Dostojewski - es sind einfach zu viele. Immerhin ist Zola vergleichsweise lustig, weil er die Pariser Gesellschaft im 19. Jahrhundert ironisch auf die Schippe nimmt. Die Hauptperson Nana kommt aus ärmlichen Verhältnissen und wird als Schauspielerin bekannt, die ohne jedes Talent, sondern allein durch ihre Schönheit Erfolg hat. Nana verkauft sich, um über die Runden zu kommen. Irgendwann wird aus der Benutzten diejenige, die die Männer benutzt. Nana treibt sie reihenweise in den Ruin und sogar in den Selbstmord (und das tut meinem Gerechtigkeitssinn doch ungemein gut). Dabei rächt sie sich nicht bewusst an der Gesellschaft - dafür ist Nana zu dumm und zu kindisch – sie lebt einfach die pure Lust an der Verschwendung aus, bis sie sich selbst ruiniert.

Wenn das Buch ein bisschen kürzer und gestraffter daher käme, würde es mir wirklich gut gefallen. 

So hübsch waren Reclam-Hefte mal!



 














Abbé Prevost: Manon Lescaut

Um die unfreiwillige Themenrunde komplett zumachen, hab ich gleich noch mal ein Buch über eine Pariser Kurtisane erwischt.
Allerdings ist das viel älter als die Kameliendame (1848) und Nana (1880), nämlich von 1731. Damals hatten Romane noch eine handfeste Geschichte zu erzählen. Einfach nur eine tragische Liebe oder ein bisschen Nabelschau der Pariser Schickeria ging da noch nicht. Folglich kommt das Buch das ein etwas eigenartiger Abenteuerroman mit einem moralisch wankelmütigen Beinahe-Helden daher. Der junge Chevalier aus gutem Hause will Priester werde, verliebt sich aber unsterblich in die schöne Manon, die leider den Luxus ein bisschen mehr liebt als ihn. Erst verlässt sie ihn wegen eines Mannes, der mehr Geld hat als er, dann gewinnt er sie zurück, dann versuchen sie zusammen reiche alte Säcke auszunehmen, fliegen auf, werden eingesperrt, können fliehen, frönen wieder dem süßen Leben, das sie nicht bezahlen können usw.
Selbstverständlich kommen in diesem Buch keine Sexszenen vor, die gab es auch bei Zola und Dumas noch nicht, aber trotzdem gab es wohl damals Probleme mit der Zensur.
Ich hatte ja beim Lesen die Vorstellung, dass der Autor gemütlich in seinem Pfarrhaus oder in seiner Klosterzelle saß und sich zur Entspannung wilde Geschichten ausgedacht hat. Interessanterweise ist das Buch laut Wikipedia teilweise autobiographisch, und zwar sowohl was die Geliebte, als auch was den Gefängnisaufenthalt angeht. Der gute Abbé muss eine ziemlich schillernde Persönlichkeit gewesen sein. 



















Whit Matserson: Mein Mann ist irr und lässt mich grüßen

Das Buch hab ich wegen seines seltsamen Titels mitgenommen. Außerdem war ich mir da ziemlich sicher, dass keine Kurtisanen drin vorkommen.
Es handelt sich um einen amerikanischen Krimi aus den 60ern. Ein psychisch labiler Mann entführt seinen Sohn, und seiner Exfrau glaubt natürlich erstmal niemand, dass das Kind in Gefahr ist.
Die Charaktere sind ein bisschen flach, ein paar Sachen würde man heute wohl nicht mehr so schreiben (zum Beispiel die Szene, in der der Polizist der völlig verängstigten Mutter erstmal eine scheuert, um sie wieder zur Besinnung zu bringen, was auch ganz wunderbar funktioniert), aber dafür sind die Sprüche teils gar nicht schlecht – und von einem alten Krimi kann man ja auch keine literarischen Höheflüge erwarten. Das liest man zwischendrin zur Ablenkung, und dafür eignet es sich auch ganz gut. 



















Harald Haarmann: Geschichte der Schrift

Kein Grabbelkistenfund, sondern ein Weihnachtsgeschenk. Aus der gleichen Reihe hatte ich mal das sehr gut lesbare und interessante Buch Was heißt hier deutsch? von Wolfgang Krischke bekommen. Die Geschichte der Schrift kommt im Vergleich leider nicht so gut weg.

Erstmal muss man einigermaßen firm im Verständnis von Fremdwörtern sein. Das Buch wimmelt von Sätzen wie diesem, in denen die altchinesische Sprache erläutert wird:
"Die Bedeutung sprachlicher Äußerungen ist jeweils abhängig von den Sequenzen der lexikalischen Morpheme im syntagmatischen Zusammenhang."
Ich meine - das ist ein Buch für jedermann, nicht für Studenten der Literaturwissenschaft.
Dann neigt der Autor zu überflüssigen Wiederholungen. Ich meine damit nicht, dass das eine oder andere Thema mehrmals im Buch auftaucht, das ist vielleicht gar nicht zu vermeiden, sondern dass zwei Sätze praktisch gleichen Inhalts direkt hintereinander stehen.
Zum Beispiel Satz 1 (es geht um Beschriftungen auf Metallgegenständen):
"[...] viele Metallgegenstände sind aber im Laufe der Zeit dadurch zerstört worden, daß sie eingeschmolzen und ihr Metall erneut verarbeitet wurde."
Gut, das ist ein einleuchtendes und nachvollziehbares Argument. Aber dabei belässt es der Autor nicht, es folgt Satz 2: 
"Eine Vielzahl von Skulpturen und Schmuckgegenständen ist dem Prozeß der materiellen Wiederverwertung zum Opfer gefallen."
Danke, wir hatten bereits verstanden. Aber selbst das reicht ihm noch nicht aus, er packt noch Satz 3 obendrauf:
 "Dies gilt auch für die Beschriftungen, die solche Gegenstände einmal trugen."
Ja nun. Alles andere wäre gelinde gesagt überraschend.
So was macht mich wahnsinnig. Das ist genau wie mit diesen Schwätzern, die in der Schule immer eine Eins in Mitarbeit bekommen haben, weil sie sich ständig gemeldet und exakt das, was der Lehrer gerade gesagt hatte, noch mal in eigene Worte gefasst haben. Unnütz und überflüssig.

Schade – der Autor weiß zwar wirklich unglaublich viel, aber das Thema hätte man bestimmt besser behandeln können.

4 Kommentare:

  1. Oh, das erste Buch klingt super spannend! Ich glaube, das merke ich mir für nach meinem jetzige Buch. Danke für den Tipp!

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  2. Wieder eine interessante Mischung :)

    Besonders das erste Buch klingt ein wenig...erschreckend/faszinierend/...

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  3. Fatherland habe ich mal als Film gesehen. Der war ganz interessant gemacht. Deutschland war so eine Art nationalistische DDR mit monströsen Monumenten und Plattenbauten. Die Autos waren so eine Mischung aus russischem Wolga und 60'er-Daimler-Limousinen ... usw usf.


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  4. "Vaterland" hab ich auch mal vor Jahren gelesen und später den Film gesehen. Der ist eher fernsehfilmmäßig, aber mit einem gut spielenden Rutger Hauer als Hauptdarsteller. Etwas seltsam ist nur, wie die Requisite manchmal auf Details achtet (Türklinken, keine Knäufe) und es manchmal grob versemmelt (Plakate mit Doppel-ß). Am Ende weicht der Film zu seinen Ungunsten vom Buch ab :)

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