Montag, 4. Januar 2016

"Tiergeschichten" von Manfred Kyber

Heute mal ein kleine Buchbesprechung sozusagen in eigener Sache.
Also nicht als Gegenleistung für kostenloses Lesefutter.

Neulich lag in der Grabbelkiste ein offensichtlich altes Buch mit einfachem Einband. Titel und Autor von außen nicht erkennbar.























Das war dann die zweite Seite, aus Pappe und noch vor dem eigentlichen Schmutztitel - hab ich so auch noch selten gesehen, aber egal. Der Autor sagte mir nichts, "Tiergeschichten" klang mir jetzt auch nicht so verheißungsvoll, aber dieses Lächeln wollte unbedingt mit:























Also 10 Cent locker gemacht, Buch eingepackt, und im Zug nach Hause angefangen zu lesen.

"Die Menschen glauben meist, zwischen ihnen und den Tieren sei ein Abgrund. Es ist nur eine Stufe im Rad des Lebens. Denn alle sind wir Kinder einer Einheit."

Das fand ich gut, und es ging gut weiter.
Es sind zwar nicht alle Geschichten gleich toll - ein paar gefallen mir nicht, weil sie mir zu albern oder zu dick aufgetragen sind, aber insgesamt hab ich noch selten so abwechslungsreiche, phantasievolle und vor allem einfühlsame Tiergeschichten gelesen.

Im Grunde sind das zwei Sorten Geschichten: Die einen sind eher wie Fabeln und machen sich vor allem über die Menschheit lustig.
"Wo sich Affen versammeln, wählen sie immer einen Oberaffen, sonst gäbe es kein richtiges Affentheather, und das wollen die Affen überall haben, in Indien und in der ganzen Welt - und es gibt sehr viele. Zum Oberaffen wird immer der Affe gewählt, der das größte Maul und das stärkste Gebiss hat." 
Oder, weniger gesellschaftskritisch und eher sachlich:
"Eine Biene im Nasenloch ist kein Gegenstand der Ruhe."
Diese kleinen und großen Weisheiten sind sprachlich sehr schön verpackt - der Hamster heißt Ambrosius Dauerspeck und die Ente Emilie Schlapperfuß guckt "freundlich und mit vollständig problemlosem Gesichtsausdruck". 

Ganz toll fand ich auch die Beobachtung, dass Käfer nicht laufen und nicht wandern, sondern pilgern. Da ist was dran.

So liest man nett unterhalten ein paar Geschichten, und dann wird es auf einmal ernst. Dann kommt der Hammel, der zur Schlachtbank geführt wird - im Vertrauen der Tiere, die zahm gehalten worden sind, zum Menschen.
Der Vogel im Käfig, der im Herbst unbedingt nach Süden ziehen will. Und als nach Jahren endlich die Tür mal offen steht, nicht mehr richtig fliegen kann, aus Angst oder aus Verkümmerung.
Der große Wissenschaftler, der nach seinem Tod für sein Lebenswerk nicht belohnt wird, sondern Tausenden von gequälten und verstümmelten Versuchstieren gegenübersteht.
Der vornehme Mann, der seine Freude an der Natur hat, indem er ein Habichtmännchen abschießt und ein Hasenweibchen mit dem Gewehrkolben erschlägt. Die Partner der Tiere bleiben zurück.
"Im verschneiten Gebüsch saß jammernd und frierend ein kleines Geschöpf mit struppigem Fell. 
Hoch in der Luft kreiste ein einsamer Vogel.
Die Blutspuren auf dem Schnee bildeten seltsame Zeichen. Die Zeit ist sehr nah, wo man sie lesen lernen wird.
Und erlöse uns von dem Übel."

Kitschig? Finde ich eigentlich gar nicht.
Das Buch ist von 1922, da fingen solche Sachen wie die Massentierhaltung mit all ihren Greueln erst ganz langsam an. Die Zuversicht, die Herr Kyber als Anhänger der Anthroposophie hinsichtlich der Menschheit hatte, kann ich da leider kaum noch teilen. Aber schön wäre es, wenn wir die stummen Bitten der Tiere wenigstens ab und zu hören wollten.
Wir müssen ja nicht alle gleich Veganer werden. Ein bisschen bewusster einkaufen, weniger Fleisch essen, versuchen, Lebensräume für Wildtiere zu erhalten, kleine Krabbelheimer aus der Wohnung an die Luft setzen, statt sie einfach platt zu hauen - jeder kann etwas tun.

Denn jedes Leben ist wertvoll.

Wer mal im Internet gucken möchte, wird feststellen, dass man Manfred Kybers Werke für wenig Geld in Papierform oder elektronisch sogar umsonst bekommt.

6 Kommentare:

  1. Hätte ich mehr Zeit *jammer*, könnte ich all die vielen interessante Dinge lesen. Ich muss mich definitiv früh Pensionieren lassen XD!

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    1. Auf jeden Fall! Die aufstrebenden jungen Leute brauchen schließlich Arbeitsplätze. =)

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  2. Liebe Centi,
    Gutes Neues Jahr! Das war auch eines meiner Lieblingsbücher: Flora Flossenfroh, das Allräunchen, die tapfere Haselmaus, die Mutterhenne, die ihre Küken verteidigt, Karlchen Krake...Meine Kinderzeit war bevölkert von Ihnen. Jeder kann etwas tun, da stimme ich Dir zu, wenn er sich darauf einlässt die stummen Bitten zu hören.
    Herzliche Grüße
    Deine Sarah

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    1. Das Alräunchen mit dem Kater fand ich auch sehr schön. :)

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  3. Das Buch hätte ich mitgenommen. Da hast du eine kleine Perle entdeckt, die ihrer Zeit voraus ist. Wenn du mich fragst jedenfalls.

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    1. Das mag ich noch anfügen. Da das Projekt Gutenberg rechtlich unbedenklich sein dürfte http://gutenberg.spiegel.de/autor/manfred-kyber-348

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Ich freue mich immer über nette und konstruktive Kommentare! Vielen Dank dafür!
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